Die Vordere Bremsleuchte

Stressreduzierung im Straßenverkehr durch Einsatz einer Vorderen Bremsleuchte

Prof. Dr. Konrad Reschke
Institut für Psychologische Therapie e.V., Leipzig

Dr. Udo Kranich
Institut für Psychologische Therapie e.V., Leipzig

Juli 2018

Stress, Beanspruchung und Belastung des Fahrers sind Begriffe, die im Kontext der Erhöhung der Verkehrssicherheit, zur Vermeidung von Verkehrsunfällen und

-delikten und zur weiteren Senkung verkehrsbedingter Todesfälle bisher kaum grundlegend untersucht wurden. Ihre Relevanz für die Verkehrssicherheit und weitere Entwicklung einer sicheren multisystemischen Fahrer-Kraftfahrzeug- Verkehrsinteraktion dürfte unbestritten sein. Nachfolgend werden einige hand- lungstheoretisch formulierte Grundlagen von Stress, Beanspruchung und Belastung in Anlehnung an Reschke & Schröder (2010) erörtert, auf die Darstellung von allgemeinen Stresstheorien (Lazarus, 1966; Lazarus & Launier, 1978; Heinrichs, Stechele & Domes, 2015) wird verzichtet.

1. Das Stresskonzept – Grundlageneines handlungstheoretischen Stressmodells mit Bezug zum Verkehr

Aktuelle Stresskonzeptionen besagen in Bezug auf das Tätigkeitsfeld Verkehr, dass ein Fahrer mit Fähigkeiten (Fahreignung, Fahrtüchtigkeit, Fahrfertigkeiten) und Bedürfnissen ausgestattet ist, die es ihm gestatten, die Anforderungen des (Straßen)-Verkehrs (z. B. bzgl. Aufmerksamkeit, Fahrdauer, Berufsaufgaben, Ver- kehrsdichte, Verkehrsbedingungen, Zeiteinhaltung) zu erfüllen und dabei seine Belastung selbst zu regulieren. Dabei können ihn externe und interne Ressourcen jeglicher Art unterstützen. Die Entwicklung der Kraftfahrzeugtechnik ist im Grunde eine Ressourcenentwicklung, die historisch gesehen den Kraftfahrer entlastet und  die Verkehrssicherheit stetig zu verbessern versuchte. Auch die Entwicklung der dritten hinteren Bremsleuchte und alle dazu durchgeführten Untersuchungen sind Ausdruck des Bemühens, durch geeignete technische Neuentwicklungen die Sicherheit der multisystemischen Interaktionen zu erhöhen.

Die Beziehung zwischen Fahrer, automobiler Technik und Verkehr ist als multi- sensorische Anforderungsvielfalt an den Kraftfahrer bei der Teilnahme am Straßen- verkehr als prinzipiell widersprüchlich zu betrachteten. Sie bedarf fortwährender Regulationsbemühungen und auch der Weiterentwicklung auf allen Ebenen. Besondere Beachtung verdient, dass nicht nur technische Systeme Belastungs- grenzen besitzen. Auch das psychophysische System des Menschen besitzt Belastungsgrenzen und kann nicht auf Dauer und immer mehr belastet werden. Kritische Grenzwerte (z. B Wachheit, Aufmerksamkeit, Lenkzeiten, Promille-Grenzen oder sensorische Reizdichte) sind zu beachten und sollten nicht überschritten werden. Hierzu wurden einerseits gesetzliche Grundlagen geschaffen. Andererseits ergänzen technische, umweltgerichtete und innere Regulierungsaktivitäten die automatisierten Reaktionen auf Anforderungen durch Abstimmung (Kongruenz) und Ausgleich (Konsistenz).

Der Begriff Stress, auch im multisystemischen und komplexen Kontext des Fahrer- Fahrzeug-Verkehrs-Systems, beschreibt einen psychophysischen Regulations- zustand des Menschen, welcher dann für ein Individuum eintritt, wenn die persön- liche Mensch-Umwelt-Beziehung eine Widerspruchsqualität erreicht hat, die mit Verhaltensroutinen und Reaktionsautomatismen nicht mehr auszugleichen ist (Reschke & Schröder, 2010). Im Erleben des Menschen spiegelt sich Stress in Form von Bedürfnisbedrohung, Destabilisierung, Wahrnehmungs- und Informations- verarbeitungskapazitäten und Belastungserleben bei der Anforderungsbewältigung wider. Stress bezeichnet also eine Problemsituation, die ein Umschalten vom

emotionsgesteuerten Verhaltensniveau zu kognitiv organisierten und reflektierten Handlungen verlangt.

Die psychophysische Stressreaktion ergibt sich aus dem hochgradig individuellen Wechselverhältnis von vier interagierenden Bedingungsgruppen (Abbildung 1). Auf der Seite der Person sind vor allem die individuelle Fähigkeitsstruktur mit grund- legenden Wahrnehmungs-, Handlungs- und Sachkompetenzen sowie belastungs- spezifische Bewältigungskompetenzen von Bedeutung. Diese Komponenten machen wesentlich den Persönlichkeitsfaktor aus, der mit erfahrungsgetragenen und konstitutionellen Besonderheiten einen mehr oder weniger flexibel-stabilen Hinter- grund des Bewältigungsgeschehens darstellt (fahreignungsrelevante Persönlichkeits- und biopsychosoziale Kompetenzen, z. B. Wahrnehmungs-, Kontroll- und Ent- scheidungsprozesse beim Fahren im Straßenverkehr). So wird beispielsweise ein ausgebildeter junger Fahrer, welcher eine seinem Berufsanspruch gemäße Aus- bildung vorzuweisen hat, seltener in Kompetenzdefizitsituationen geraten und sich am Limit seiner Regulationsstabilität bewegen müssen als andere, z. B. Quer- einsteiger in den Beruf des Kraftfahrers. Wer darüber hinaus noch Fertigkeiten für die Lösung problematischer Regulationslagen besitzt, hat Vorteile gegenüber einem Unerfahrenen.

Auf einer vorwiegend instrumentellen Ebene der Verhaltensorganisation ergeben sich die stressrelevanten Unstimmigkeiten aus dem Verhältnis von Fähigkeiten und externalen Anforderungen. Für die Analyse und die Reduzierung von Belastung, Beanspruchung und Stress sind das jeweilige Anforderungsprofil und der Typ der Belastung in Relation zu den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten von Belang. Es sind stressbelastende Langzeitanforderungen und häufig wiederkehrende Begebenheiten oder Kurzzeitbelastungen zu unterscheiden. Diese Faktoren werden durch externale Stressoren gebildet. Intensität, Dauer, Komplexität, Vorhersehbarbeit und Kontrollierbarkeit von Reizen aus der Verkehrssituation determinieren die psychischen Anforderungskomponenten.

Jede Reduzierung der Komplexität der zu beachtenden und zu kontrollierenden sicherheitsrelevanten Signale ist ein Beitrag zur Stressreduktion durch verhältnispräventive Interventionen. Die konkreten Widersprüche  zwischen den dargestellten Bedingungskomplexen setzen das psycho-physische Re- gulationssystem des Menschen unter Druck. Jegliche Versuche zur Stress- reduktion durch Reizreduktion und Regulationsverbesserungen durch Hin- zufügung sicherheitsvermittelnder und kontrollaufwand-reduzierender Signale kann Verhalten und Sicherheit im Verkehr stabilisieren.

Einsetzende emotionale und kognitive Bewertungen identifizieren die belastende Situation und veranlassen psychoenergetische Bereitstellungen unter Einbezug von Verhalten sowie die damit korrespondierenden physiologischen, endokrinen und immunbiologischen Mechanismen. Die akute Stressreaktion ist zweckmäßig; sie mobilisiert die Person und macht sie für zugespitzte Anforderungssituationen handlungsfähig.

Chronische Stressreaktionen stellen hingegen eine permanente Überforderung mit der Gefahr von Destabilisierungen der Gesundheit und Leistung dar. Die hier beschriebene psycho-physische Zustandsqualität Stress in ihrer chronischen Form ist für den Bereich Verkehr ebenso wie die negativen Bean- spruchungsformen Ermüdung bei quantitativer Überforderung und Monotonie bei Unterforderung von besonderer Bedeutung.

Abbildung 1: Bedingungsgruppen der psychobiotischen Stressreaktion nach Reschke & Schröder (2010)

Ansatzpunkte der Stressbewältigung und Stressreduktion

Im multisystemischen, komplexen Verkehrsraum sind verhältnis- und verhaltens- bezogene Interventionen zur Stressbewältigung möglich. Die Aktivitäten der Stress- bewältigung auf der externalen Anforderungs- und Verhältnisseite (Verhältnis- prävention) setzen an der objektiven Belastungsseite an, im Verkehr durch Regeln, Gesetze und Arbeitsplatz gestaltende und tätigkeitserleichternde Maßnahmen. Hierzu zählen auch alle technischen Einrichtungen des Kraftfahrzeuges. Sie haben das allgemeine Ziel, Arbeits- und Lebensbedingungen des Verkehrsteilnehmers positiv und bedürfnisgerecht zu verändern, Verkehrssicherheit und Tätigkeits- regulation positiv zu beeinflussen.

Nachfolgende Ausführungen beziehen sich daher insbesondere auf die Situations- gestaltung und technische Ausstattung am Kraftfahrzeug, welche es durch klare Signaldeduktion ermöglich muss, Stress durch Wahrnehmungssicherheit und Kon- trolle zu reduzieren. Stressbewältigungsprozesse werden also auch durch externale Ressourcen am Fahrzeug erleichtert, wenn diese z. B. die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für Bremsvorgänge von vorn erleichtern, was auch der Sicherheit im Verkehr dient.

2. Stress im Straßenverkehr

Das Stresserleben von Kraftfahrern entsteht immer aus einem Zusammenwirken von Personen- und Umweltvariablen. Von Evers (2009) wurden diese Variablen in Form von tätigkeitsbezogenen (Umweltvariablen) und den personalen Belastungsfaktoren des Stresserlebens der Kraftfahrer klassifiziert. Stresserleben im Straßenverkehr kann prinzipiell alle Verkehrsteilnehmer betreffen, besondere Belastungen haben jedoch Berufskraftfahrer und Vertreter vielfahrender Berufsgruppen (Taxifahrer, Schienenbahnfahrer, Fahrlehrer, Busfahrer etc.).

Inzwischen wurde ein Stressbewältigungsprogramm mit dem Titel: „Optimistisch den Fahr(er)stress meistern“ entwickelt (Reschke, Kranich & Lessing, 2015). Neben einer individuellen Stressanalyse des Kraftfahrers werden als weitere Module insbe- sondere auch konkrete Stressbewältigungskompetenzen mit den Teilnehmern erarbeitet und Wissen zum Thema: „Stress im Straßenverkehr“ vermittelt.

3. Stressreduzierung durch Einsatz kraftfahrzeugtechnischer Einrichtungen

 Das Gesamtsystem „Straßenverkehr“ setzt sich aus den Teilsystemen „Mensch“ (Fahrer, Verkehrsteilnehmer), „Fahrzeug“ (Verkehrsmittel) und „Straße“ (Verkehrs- fläche) zusammen, die miteinander in vielfältigen Wechselbeziehungen stehen (z. B. Klebelsberg, 1982). Faktoren wie eine zunehmende Verkehrsdichte, Zeit- und Ter- mindruck verstärken Verkehrskonflikte. Verkehrssituationen können vom Verkehrs- teilnehmer insbesondere dann als bedrohlich empfunden werden, wenn diese unübersichtlich und Verhaltensweisen von anderen Verkehrsteilnehmers nicht aus- reichend vorhersehbar sind. Klebelsberg (1982) definiert Verkehrskonflikte als

„einander entgegengesetzte Verhaltenstendenzen von Verkehrsteilnehmern (…), deren Richtung letztlich einen Unfall erwarten lassen, der aber durch entsprechende Gegenmaßnahmen von einem oder von beiden Verkehrsteilnehmern vermieden werden kann“ (S. 36). Je mehr der Verkehrsteilnehmer die Kontrolle über die Verkehrssituationen hat, je weniger wird diese als bedrohlich empfunden. Dies wiederum kann als ein stressreduzierender Faktor angesehen werden.

Mehr Kontrolle über Verhaltensweisen im Straßenverkehr kann gerade auch durch den Einsatz technischer Mittel erreicht werden. Diese können z. B. helfen, Gefahren- situationen im Straßenverkehr im Sinne einer Signalwirkung eher und/oder besser zu erkennen. Damit steigt die Vorhersehbarkeit von potenziellen Gefahren im Straßen-

verkehr, das Gefühl der Bedrohung nimmt ab, was wiederum zur Stressreduzierung beitragen kann. Insbesondere der Prozess der Informationsverarbeitung wird dadurch erleichtert, da das menschliche Gehirn eindeutige Signale leichter ver- arbeiten kann als mehrdeutige und insbesondere nicht zur gleichzeitigen Verarbei- tung verschiedener Signale in komplexen Anforderungssituationen (Multitasking) in der Lage ist. Informationsverarbeitung beinhaltet Selektions-, Verarbeitungs- und Handlungsprozesse und findet auf allen hierarchischen Ebenen der Fahraufgabe und des Fahrverhaltens statt, wobei die spezifischen Prozesse von der Aufgaben- schwierigkeit abhängen. Ein Kraftfahrer lernt Signaldedektion fahrrelevanter Reize und kann sich im Verlauf seiner Fahrpraxis durch Automatisierung (Lernen) auf der Grundlage weniger sicherheitsrelevanter Reize entscheiden.

Rumar (1985) beispielsweise beschreibt Prozesse des Informationserwerbs und der Informationsverarbeitung, die sequenziell ablaufen und durch kognitive und motiva- tionale Faktoren gesteuert werden. Innerhalb des Informationsverarbeitungs- prozesses werden die Informationen selektiert und so strukturiert und verdichtet. Zunächst werden Umweltinformationen sensorisch aufgenommen und kognitiv (Gedächtnis- und Wahrnehmungsprozesse) verarbeitet, bis schließlich eine Ent- scheidung getroffen wird, die in eine Fahrverhaltensreaktion umgesetzt wird. Die kognitiven Verarbeitungsprozesse werden durch Aufmerksamkeit, Motivation, Erfah- rung und Erwartung geleitet. Gleichzeitig nimmt Rumar (1985) an, dass unter- schiedliche Filterprozesse die Informationsverarbeitung beeinflussen. Die physika- lische Filterung betrifft die äußere physikalische Umwelt und meint, dass bestimmte Reize oder Objekte sensorisch nicht erfasst werden können, weil sie z. B. von anderen Reizen oder Objekten maskiert werden (etwa Geräusche). Perzeptuelle Filterung kann an den sensorischen Prozessen und der perzeptuellen Strukturierung ansetzen und meint, dass die Aufmerksamkeitszuwendung zu einem Stimulus geleitet wird, d. h. bestimmten Stimuli wird eher Aufmerksamkeit zugewandt als anderen. Ein zusätzliches Signalelement am Kfz kann Aufmerksamkeit potenziell lenken. Es ist davon auszugehen, dass durch technische Signale, die dem Verkehrsteilnehmer wichtige zusätzliche Informationen zur adäquaten Wahrnehmung vor Verkehrssituationen liefern können, auch das Niveau sicherheitsrelevanter Aufmerksamkeitslenkung erhöht werden kann.

4. Stressreduzierung durch Einsatz der Vorderen Bremsleuchte Allgemeine Überlegungen

Weil das nach vorn ausgerichtete Bremslicht in den Raum vor dem Fahrzeug strahlt, wird dieses Signal von anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen, als von denen, für welche die rückwärtigen Bremsleuchten einsehbar sind. Die Vordere Bremsleuchte signalisiert das aktuelle Bremsverhalten des Fahrzeugführers (oder des autonom fahrenden Kraftfahrzeugs) und macht so die Kommunikation ins- besondere mit schwächeren Verkehrsteilnehmern wie z. B. Fußgängern und Rad- fahrern erst möglich, bzw. erleichtert sie. Es gibt zahlreiche Verkehrssituationen, in denen es wichtig wäre, frühzeitig Informationen über das Fahrverhalten eines auf einen zukommenden Kraftfahrzeuges zu erhalten (siehe dazu Kapitel 4.2).

Mit dem Einsatz der Vorderen Bremsleuchte wäre für den Verkehrsteilnehmer eine zusätzliche Stimulusquelle gegeben. Es wäre für ihn leichter zu erkennen, ob ein Fahrzeug wirklich abbremst oder nicht. Dieser Gewinn an Informationen wiederum minimiert die Unsicherheit und damit die Bedrohlichkeit in unübersichtlichen Ver- kehrssituationen oder gar Gefahrenmomenten. Der Verkehrsteilnehmer erhält durch die zusätzliche Information mehr Kontrolle, was als stressreduzierender Faktor angesehen werden kann.

Dieser Einschätzung liegen folgende Überlegungen nach dem Stressmodell von Lazarus (1966) zugrunde. Die Bewertung eines Stressors erfolgt danach in mehreren Schritten: Zuerst wird die Situation als stressrelevant eingeschätzt (primäre Be- wertung), z. B. als Bedrohung erlebt. Damit verbunden sind häufig negativen Emo- tionen wie Angst, Ärger und Besorgnis.

Beim zweiten Schritt (sekundäre Bewertung) erfolgt die Einschätzung der eigenen Bewältigungsfähigkeiten und -möglichkeiten. Es wird abgewogen, welche Bewälti- gungsmöglichkeiten verfügbar sind, welche Erfolgswahrscheinlichkeit diese haben und inwieweit man die Bewältigungsstrategien beherrscht. Erfahrungen der adä- quateren Bewältigung von Verkehrssituationen, hier durch das Vorhandensein zusätzlicher Informationen über Verhaltensweisen anderer Kraftfahrer, können dann dazu führen, dass sich die Bewertung der Ausgangssituation ändert und Ressourcen dazu gewonnen werden können. Dadurch kann es zu einer Neubewertung der Situation kommen. Bewältigung (coping) wird von Lazarus und Folkman (1984) als kognitive und behaviorale Bemühung definiert, die interne oder externe Anforde- rungen reduzieren, meistern oder tolerieren soll. Im vorliegenden Fall kann davon ausgegangen werden, dass externe Anforderungen (Unsicherheiten über Verhalten von Kraftfahrern im Straßenverkehr) durch den Einsatz der Vorderen Bremsleuchte besser erkannt und dann angemessener bewältigt werden können.

Dabei muss jedoch Folgendes beachtet werden: Eine allgemein effektive Bewälti- gungsstrategie gibt es nicht, da die „Effektivität“ vom Inhalt und den Merkmalen der Stresssituation, von Personenmerkmalen der Betroffenen oder dispositionellen Be- wältigungspräferenzen abhängig ist. Eine Form der Bewältigung erwies sich aber immer wieder als effektiv. Es handelt sich dabei um das aktives Problemlösen, welche als Strategie jedoch nur wirksam funktionieren kann, wenn die Situation auch als hinreichend kontrollierbar eingeschätzt werden kann. Davon ist in Anwendung der beschriebenen Überlegungen durch den Einsatz der Vorderen Bremsleuchte in erhöhten Maße auszugehen.

Zielgruppenspezifische Vorteile (z. B. Fußgänger, ältere Verkehrsteilnehmer) Fahrzeugführer mit Sonderzeichen)

Prinzipiell können verschiedene Gruppen von Verkehrsteilnehmern durch eine zusätzliche Vordere Bremsleuchte profitieren.

Insbesondere für Fußgänger ist nicht immer eindeutig erkennbar, ob ein Kfz wirklich einen Bremsvorgang eingeleitet hat. Eine klassische Situation ist der Fuß- gängerüberweg. Der sich mit dem Kfz annähernde Kraftfahrer ist beim Erkennen der Nutzung des Fußgängerüberwegs durch Fußgänger laut StVO eigentlich verpflichtet anzuhalten und dem Fußgänger das gefahrlose Überqueren der Straße zu

ermöglichen. Allerdings erhält der Fußgänger kein eindeutig erkennbares optisches Signal, welches ihm anzeigt, dass der Kraftfahrer dieser Pflicht wirklich nachkommt. Er kann lediglich das Annäherungsverhalten beobachten und daraus Schlussfolge- rungen ziehen, ob der Kraftfahrer seiner Anhaltepflicht wirklich nachkommen wird oder nicht. Dieses Szenario ist jedoch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Es handelt sich um eine subjektive Einschätzung, der Fußgänger muss zu einem Teil darauf vertrauen, dass der Kraftfahrer sich an die Regeln der StVO bei Nutzung des Fußgängerüberweges hält. Hinzu kommt, dass Studien belegen, dass den Fuß- gängern häufig der Vorrang am Zebrastreifen nicht gewährt wird (Varhelyi, 1998).

Durch Anwendung der Vorderen Bremsleuchte könnte dieser Unsicherheitsfaktor deutlich minimiert werden. Der Fußgänger würde, sofern er seine Aufmerksamkeit auf die konkrete Verkehrssituation richtet, ein zusätzliches eindeutig zu identifi- zierendes Signal erhalten (Aufleuchten der Vorderen Bremsleuchte), welches ihm zu erkennen gibt, dass der Bremsvorgang eingeleitet worden ist. Gerade auch bei den Zielgruppen der älteren Fußgänger und Kinder, die im Straßenverkehr eher eine Population mit erhöhten Unfallrisiken darstellen, würde der Einsatz der Vorderen Bremsleuchte eine zusätzliche Komponente zur Stressreduktion darstellen und damit auch zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.

Auch für Führer von Fahrzeugen mit Sondersignal wäre durch den Einsatz der vorderen Bremsleuchte von einer stressreduzierenden Wirkung auszugehen. Unter Sondersignal ist die Warnung anderer Verkehrsteilnehmer durch in der Straßen- verkehrsordnung (StVO) festgelegte Einsatzfahrzeuge mithilfe von Lichtzeichen und Tonsignalen zu verstehen. Sondersignale durch akustische und optische Ein- richtungen an Fahrzeugen dienen dazu, vor Gefahren zu warnen und/oder dem übrigen Verkehr die Inanspruchnahme von Sonderrechten anzuzeigen. Die Fahr- zeuge der Hilfsorganisationen (Feuerwehr, Rettungsdienst etc.) rücken nur bei Gefahr in Verzug mit Blaulicht und Sondersignal zur Einsatzstelle aus. Menschen sind in Not sind, häufig spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Je schneller diese Fahrzeuge am Einsatzort sind, umso wirksamer können Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden. Auf der Fahrt zum Einsatz müssen diese Fahrzeugführer darauf vertrauen, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer das Fahrzeug mit Sonderrechten überhaupt wahrnehmen und ihr Verhalten darauf einstellen, z. B. in dem sie diesem die unge- hindert Weiterfahrt ermöglichen. Auch dieses Szenario ist mit erheblichen Un- sicherheiten auf Seiten der Einsatzwagenfahrer verbunden. Fahrten mit Blaulicht und Sondersignal (Martinshorn) zählen zu den gefährlichsten Situationen im Straßen- verkehr. Durch Anwendung der Vorderen Bremsleuchte könnten Unsicherheits- faktoren deutlich minimiert werden. Der Führer eines Fahrzeuges mit Sonderrechten würde, sofern er seine Aufmerksamkeit auf die konkrete Verkehrssituation richtet, ein zusätzliches, klar zu deutendes, Signal erhalten, welches ihm Hinweise darauf gibt, dass andere Fahrzeugführer den Noteinsatz erkannt, ihr Verhalten darauf eingestellt und den Bremsvorgang eingeleitet haben.

5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 

Mit dem Begriff Stress ist ein psychophysischer Regulationszustand gemeint,  welcher für die Person dann relevant wird, wenn die persönliche Mensch-Umwelt- Beziehung eine Widerspruchsqualität erreicht hat, die mit Verhaltensroutinen und Reaktionsautomatismen nicht mehr auszugleichen ist. Im Erleben des Menschen spiegelt sich Stress in Form von Bedürfnisbedrohung, Destabilisierung und Be- lastungserleben wider. Stress bezeichnet eine Problemsituation, welche ein Um- schalten vom emotionsgesteuerten Verhaltensniveau zu kognitiv organisierten und reflektierten Handlungen erfordert.

Das Stresserleben von Kraftfahrern entsteht vor diesem Hintergrund immer aus einem Zusammenwirken von Personen- und Umweltvariablen. Stresserleben im Verkehr kann prinzipiell alle Verkehrsteilnehmer betreffen, besondere Belastungen haben jedoch Berufskraftfahrer und Vertreter vielfahrender Berufsgruppen (Taxi- fahrer, Schienenbahnfahrer, Fahrlehrer, Busfahrer etc.).

Faktoren wie eine zunehmende Verkehrsdichte, Zeit und Termindruck können verstärkt zu Verkehrskonflikten führen. Verkehrssituationen können vom Verkehrs- teilnehmer dann als bedrohlich empfunden werden, insbesondere wenn diese unübersichtlich und Verhaltensweisen nicht in jedem Fall vorhersehbar sind.

Je mehr der Verkehrsteilnehmer die Kontrolle in (unübersichtlichen) Verkehrs- situationen behält, je weniger werden diese als bedrohlich empfunden. Dies wiederum kann als ein stress-reduzierender Faktor angesehen werden. Mehr Kontrolle für den Verkehrsteilnehmer kann auch durch den Einsatz technischer Mittel erreicht werden. Diese können z. B. helfen, Gefahrensituationen im Straßenverkehr im Sinne einer Signalwirkung eher und/ oder besser zu erkennen.

Durch Anwendung der Vorderen Bremsleuchte könnten Unsicherheitsfaktoren bei nicht eindeutig übersichtlichen Verkehrssituationen minimiert werden. Überlegungen dazu wurden beispielhaft für die Zielgruppe der Fußgänger und der Fahrzeugführer für Fahrzeuge mit Sondersignalen dargestellt.

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine theoretische Herleitung. Selbst- verständlich sind verschiedene Stressparameter inzwischen durch den Einsatz von Messverfahren auch gut erfassbar. Es bleibt weiteren Studien vorbehalten, den empirischen Nachweis zu erbringen, dass der Einsatz derVvorderen Bremsleuchte an Fahrzeugen zur Stressreduzierung bei Verkehrsteilnehmern erheblich beitragen kann.


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